Tim Horrell: „Eine Behinderung ist kein Handicap im Motorsport!“

Datum: 10. Oktober 2023

Der wohl bekannteste Rollstuhlfahrer am Steuer eines Rennwagens ist sicher Alex Zanardi. Er verlor bei einem schweren Unfall auf dem Lausitzring 2001 beide Beine und kaum jemand hielt es für möglich, dass der Italiener je wieder in ein Cockpit steigen kann. Doch er schaffte es zwei Jahre später zurück in den Motorsport und nahm bis zu seinem Handbike Unfall im Sommer 2020 erfolgreich an Rennen teil. Er gewann seit dem im Handbike bei den Paralympics vier Goldmedaillen und wurde zum großen Vorbild vieler Menschen mit Behinderung. Der US-Amerikaner Tim Horrell, der mit W&S Motorsport die Saison 2023 im GTC Race bestreitet, ist seit seinem 21. Lebensjahr nach einem Autounfall querschnittsgelähmt und, ebenso wie Zanardi, unbeschreiblich ehrgeizig.

Der in Pennsylvania geborene und in Florida lebende Fahrer gewann 2021 in der Porsche Sprint Challenge North America ein Rennen und beendete vier weitere auf dem Podium. 2022 gelang ihm in der GT4 America ein zweiter Platz. Die Fahrerwertung schloss er nach sechs bestrittenen Rennen mit dem hervorragenden Rang zehn ab. Das W&S Motorsport-Einsatzfahrzeug des 32-Jährigen im GTC Race, ein Porsche 718 Cayman GT4 RS Clubsport, wurde in Zusammenarbeit mit der PARAVAN GmbH speziell auf seine Bedürfnisse umgebaut und Horrell sicherte sich in der laufenden Saison bereits Podiumsplatzierungen in der Trophy-Wertung.

Nach vier von fünf Wochenenden der GTC Race Saison 2023 zieht Tim Horrell im Interview mit seinem Team W&S Motorsport eine Zwischenbilanz:

Tim, wir sind stolz, dass wir dich bei deinen Einsätzen im GTC Race begleiten dürfen und gemeinsame Erfolge hatten. Uns interessiert, wie du zum Motorsport gekommen bist. Warst du schon vor dem Unfall aktiv am Lenkrad?

Tim Horrell: „Ich habe mich schon immer für Autos und Geschwindigkeit interessiert, bin aber erst nach meinem Unfall zum Rennsport gekommen. Angefangen habe ich mit einem Straßen-Porsche, einem GT3 991.1, und bin zu Porsche Club DE-Veranstaltungen gefahren. Als ich mehr wollte, kaufte ich meinen ersten Rennwagen, einen 981 Clubsport, und nahm an Clubrennen teil, bevor ich dann an höherklassischeren Wettkämpfen teilnahm.“

Welche weiteren Sportarten machst du, um dich körperlich fit zu halten? Verrätst du uns auch, wie du die Freizeit gestaltest, um dich von den Reisen und den Rennen zu erholen und wieder Kraft zu tanken?

„Ich bin ein großer Fan von Handbike- und Kajakfahren. Ich tue alles, um aktiv zu bleiben und in der Natur zu sein. Die meiste Zeit verbringe ich im Fitnessstudio und an meinem Simulator. Außerdem gehe ich gerne mit meinem Deutschen Schäferhund Max spazieren.“

Was bewog dich zur Entscheidung den Sprung nach Europa in den GT4-Motorsport zu machen und wie bist du auf unser Rennteam gestoßen?

„Ich wollte schon immer in Europa Rennen fahren. Es heißt, dass es dort einfach ein höheres Wettbewerbsniveau und bessere Rennen gibt. Auf der Suche nach einer Herausforderung und etwas Neuem habe ich nach Porsche-Teams gesucht, die in der GT4 European Series fahren und bin auf W&S Motorsport gestoßen. Dann habe ich Daniel kontaktiert.“

Das Team hat in den vergangenen drei Jahren viel mit der PARAVAN GmbH zusammengearbeitet und zur Entwicklung des Space-Drive-Systems beigetragen. Dein Porsche 718 Cayman GT4 RS Clubsport ist mit dem herkömmlichen mechanischen Lenksystem ausgestattet, welche Anpassungen wurden genau für deine Bedürfnisse gemacht?

„Ein elektronischer Gasring, der auf dem Lenkrad montiert ist und ein mechanischer Hebel für die Handbremse.“

Und wie zufrieden bist du mit dem System, mit dem dein Cockpitkollege Henry Schwalbach ohne Handicap ebenfalls das Auto pilotiert?

„Es war für alle Beteiligten eine neue Reise. PARAVAN hat noch nie eine solche Steuerung in ein Rennauto eingebaut, und soweit ich weiß, hat W&S Motorsport noch nie mit einem Fahrer gearbeitet, der eine solche Steuerung braucht, um Auto zu fahren. Ich bin beeindruckt von der Bereitschaft aller Beteiligten, die Steuerung so gut wie möglich zu machen, was wiederum dazu führen wird, dass ich das Potential des Autos auch fahrerisch optimal ausschöpfen kann.“

Welche Änderungen am Auto könnten dir noch behilflich sein, um zum Beispiel das schnelle Ein- und Aussteigen beim Fahrerwechsel zu verbessern?

„Ein Handgasring, der sich leichter ein- und ausschalten lässt. Die Herausforderung besteht darin, sich an das neue Handbedienungssystem zu gewöhnen und es zu benutzen. Insgesamt habe ich aber das Gefühl, dass der Ein- und Ausstieg so gut ist, wie er nur sein kann.“

Wir stellen fest, dass eine Behinderung kein Handicap im Motorsport sein muss und ein Rennwagen mit entsprechenden Anpassungen schnell bewegt werden kann. Trotzdem sind Menschen, die im Rollstuhl sitzen sehr wenig im Motorsport aktiv. Was können wir nach deiner Auffassung tun, um hier das Interesse zu wecken? Auch bei den Fans, die meist nicht realisieren, welche Leistung hinter dem Menschen im Cockpit steckt?

„Ich habe das Gefühl, dass ich jemand sein kann, der das Bewusstsein für Menschen mit Handicap im Rennsport fördert. Mit der Hilfe von W&S Motorsport und PARAVAN können wir mehr Menschen zeigen, was ich tue. Damit können wir anderen Menschen Mut machen, dass es möglich ist, Rennen zu fahren. Es gibt so viele andere körperlich beeinträchtigte Menschen da draußen, die wahrscheinlich nicht glauben, dass dies möglich ist, oder die nie gedacht haben, dass sie gegen nicht-körperlich eingeschränkte Menschen antreten können. Ich hoffe, dass ich das Bewusstsein dafür schärfen und allen zeigen kann, dass es möglich ist, genauso wie ich mich für mehr Frauen und mehr Vielfalt im Rennsport einsetze.“

Das Finale des GTC Race Mitte Oktober auf dem Nürburgring beendet bereits wieder dein erstes Jahr in Europa. Bist du bereits in den Planungen für 2024 und wenn ja, was ist dein nächstes Ziel?

„Ich habe mir noch nicht allzu viele Gedanken über das nächste Jahr gemacht, da ich mich auf dieses Jahr konzentriert habe, aber ich hoffe, dass ich weiterhin mit W&S Motorsport Rennen fahren und den Gasring weiter verbessern kann, damit ich konkurrenzfähiger bin.“

Tim, wir bedanken uns herzlich für die ausführlichen Einblicke in dein Leben und sind sehr glücklich, dass wir dich auf dem Weg im Motorsport begleiten dürfen. Gemeinsam greifen wir auf dem legendären Nürburgring nochmals an und hoffen, dass wir dich dann wieder auf dem Podium sehen dürfen!

„Ja, vielen Dank an alle bei W&S Motorsport, die mir den Einstieg in den Rennsport in Europa so leicht gemacht haben und mich herzlich im Team aufgenommen haben. Ich habe das Gefühl, dass ich kein Team mit besseren Leuten hätte finden können als euch alle, also danke!“




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